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Dr. Robert Krottenthaler
Der deutsche Mittelstand steht vor einem Dilemma: Die jetzt auf den Arbeitsmarkt strömenden Kandidaten und die jüngeren Mitarbeiter haben ganz andere Wertvorstellungen und Arbeitseinstellungen als ihre Vorgesetzten. Das führt regelmäßig zu Missverständnissen und Konflikten. Doch ohne den Nachwuchs hat kein Unternehmen eine Zukunft. Mehr Agilität kann dabei helfen, die jüngeren Mitarbeiter einzubinden und gleichzeitig innovativer und kundenorientierter zu werden. Doch Agilität lässt sich nicht per Knopfdruck umsetzen, sondern muss schrittweise eingeführt werden.
Die Corona-Krise und ihre Folgen verstellen leicht den Blick auf eine Entwicklung, die für die vielen mittelständischen Unternehmen in Deutschland mindestens genauso wichtig ist. Die sogenannten Millennials, also die Generation der zwischen den frühen 1980er- bis späten 1990er-Jahren Geborenen, steht teils vor dem Karriereeintritt oder denkt als Mittdreißiger über Karrierepläne und Jobwechsel nach. Ihre Lebens- und Arbeitseinstellungen, gerade auch im Hinblick auf die Fragen, wann, wo, wie, was und vor allem für wen sie arbeiten wollen, wird zu einem echten Game Changer mit erheblichen Auswirkungen auf die Arbeitsweise in zahlreichen Unternehmen und Branchen. Neben dem „New Work“-Gedanken ist es vor allem der zunehmende Anspruch an die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit, die diese Generation als Mitarbeiter für Unternehmen zur Herausforderung macht. Mit ihren Wertvorstellungen, zu denen auch das Thema Nachhaltigkeit gehört, stellen sie manche Geschäftsmodelle vehement in Frage und verlangen neue. Innovationen können aber nur durch Mitarbeiter entwickelt werden, deren Fähigkeiten und Kreativpotenzial voll ausgeschöpft werden. Dem stehen aber oft starre Strukturen und Prozesse im Wege.
Agilität hat sich ursprünglich als Konzept für die Software-Entwicklung etabliert und gilt mit seinen iterativen Schritten der fortlaufenden Produkt- und Arbeitsprozessverbesserung als Vorbild für kürzere Zyklen von Innovationen zu marktreifen Produkten und Services. Kleinere Unternehmen sind meist per se agil. Je größer das Unternehmen und je etablierter die Prozesse und Strukturen, desto weniger agil agiert eine Organisation. Dabei bedeutet agil nicht unbedingt schneller, sondern vor allem kundenorientierter. Das Denken vom Kundennutzen und der Nutzerfreundlichkeit her ist der wahre Paradigmenwechsel, der hinter der Agilität steht. Er wird durch die Millennials und ihrer Suche nach der Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit verstärkt. Wobei nicht nur der Kunde, sondern möglichst auch die Umwelt und die Gesellschaft von den Produkten und Dienstleistungen des Unternehmens im Sinne der Nachhaltigkeit profitieren sollen.
Im Gespräch mit Dr. Helmut Scherer, CTO bei der Erbe Elektromedizin GmbH, hat er mir einen tiefen Einblick in die Einführung agiler Methoden in sein Unternehmen gegeben. Die dort gemachten Erfahrungen lassen sich auch auf andere Unternehmen übertragen. Agilität für das gesamte Unternehmen, so ein Ergebnis unseres Gesprächs, ist kein praktikables Ziel. Nicht alle Bereiche eines Unternehmens müssen und können gleichermaßen agil werden, weil die jeweiligen Anforderungen zu unterschiedlich sind. Es gibt Bereiche, in denen das strikte Beibehalten von vereinbarten Standards wichtig ist, die Regelabweichung korrigiert und zum Standard zurückgeführt werden muss. Gute Beispiele hierfür sind das Rechnungswesen oder die präzise Arbeit von Maschinen in der Produktion. Doch der Mensch ist eben keine Maschine, sondern ein schöpferisches Wesen, das permanent nach Veränderungen und Verbesserungen strebt. Agilität bedeutet für Scherer deshalb auch, dass alle Beteiligten, sowohl Fach- als auch Führungskräfte, Änderungen als positiv akzeptieren und in die Projekte übernehmen und integrieren. Agile Methoden sind sehr projektorientiert und lassen sich daher am einfachsten im Unternehmensbereich Forschung und Entwicklung umsetzen, weshalb auch die Erbe Elektromedizin GmbH agiles Arbeiten zuerst in diesem Unternehmensbereich eingeführt hat.
Kleine Teams als Vorreiter im Unternehmen etablieren
Jede Veränderung trifft in Unternehmen zunächst auf beharrende Kräfte. Daher ist ein Start mit aufgeschlossenen Mitarbeitern, die sich in einem Team freiwillig zusammenschließen, anzuraten. Diese können sich aus dem Werkzeugkasten agiler Tools die für ihr Projekt passenden heraussuchen. Je mehr Abteilungen und Bereiche auf agile Methoden umstellen, desto wichtiger wird es, Agilität auch als Führungsthema im Unternehmen zu verankern.
- Führungsstil überdenken
Innovationen lassen sich heute meist nur noch durch ein Team von Spezialisten erreichen. Diese Teams an der langen Leine zu führen und die Mitarbeiter um Rat zu fragen anstatt Anweisungen zu geben, ist ein wichtiger Bestandteil einer lernenden Organisation. Bei der Auswahl der Projektverantwortlichen ist daher neben Organisationstalent vor allem auf Teamfähigkeit und Social Skills zu setzen. Nicht der mit dem besten Fachwissen führt, sondern der, der die vielen Fachleute am besten koordinieren und zu gemeinsamer Leistung motivieren kann.
- Führungskräfte mit agilem Mindset aussuchen, entwickeln oder rekrutieren
Jedes Projekt kann agil geführt werden, aber nicht jeder Mitarbeiter kann mit Agilität umgehen. Für ein agiles Projektteam ist völlige Transparenz essenziell. Das bedeutet, dass es keine „Wissensträger“ gibt, die ihr Wissen für sich behalten, um unverzichtbar zu sein. Damit haben manche ein Problem. Mit eignungsdiagnostischen Verfahren können Unternehmen prüfen, welche ihrer Führungskräfte am ehesten für die Führung agiler Teams in Frage kommen. Wo Kompetenzen und Skills fehlen, können durch Schulungen und Trainings Lücken geschlossen werden. Oder von außen durch gezielte Auswahlverfahren rekrutiert werden.
- Wissen und Erfahrung im Unternehmen vernetzen und vermehren
Mit jedem Entwicklungsprojekt, in dem agile Arbeitsmethoden im Unternehmen etabliert werden, sammelt man wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse. Um die Wiederholung von Fehlern zu vermeiden, müssen Unternehmen Projekte dokumentieren und wichtige Learnings im Unternehmen verbreiten. Das zu organisieren, ist ebenfalls eine Führungsaufgabe.
Fazit
Agilität muss vom Management gewollt und vorgelebt werden, denn sie beruht eben nicht auf einem Top-Down-Ansatz, sondern auf dem Abgeben von Entscheidungen. In starren hierarchischen Strukturen kann agiles Arbeiten nicht gedeihen. Agilität bedeutet nicht „Laissez-faire“, sondern fordert im Gegenteil absolute Disziplin, Kommittent und Übernahme von Verantwortung der Beteiligten. Dadurch wird der „Impact“ des einzelnen Mitarbeiters gesteigert und damit das Bewusstsein, einen bedeutenden persönlichen Beitrag für das Ganze geleistet zu haben, gestärkt. Eine höhere Zufriedenheit der Mitarbeiter ist in der Folge ein wesentlicher zusätzlicher Nutzen von agilen Methoden. Weitere Vorteile aus Unternehmenssicht sind die Verbesserung der Produktpassung und damit der Kundenzufriedenheit sowie eine schnellere Reaktionsfähigkeit auf Marktveränderungen.
Agile Unternehmen und Strukturen sind aktuell noch die Ausnahme in den meisten mittelständischen Unternehmen in Deutschland. Es herrschen meist traditionelle, hierarchische Organisationsstrukturen vor. Neben den Folgen der Corona-Pandemie ist es vor allem der in vielen mittelständischen Unternehmen bevorstehende Generationenwechsel, der in den Unternehmensführungen dafür sorgen wird, dass mehr und mehr agile Arbeitsmethoden Einzug halten werden.
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Dr. Robert Krottenthaler
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