Geschäftsmodelle und Unternehmensprozesse lassen sich nur mit den Mitarbeitenden anpassen, nicht gegen sie

  • mit Tobias Scholtis

By Dennis Tanke

Im Rahmen unserer MU Thought Leadership Beiträge, habe ich als Mitglied im Core Team der globalen Manufacturing Practice von Mercuri Urval ein interessantes Gespräch mit meinem Geschäftspartner Tobias Scholtis geführt. Tobias Scholtis ist Senior Director Corporate Procurement & Vendor Management bei der Hamburg Commercial Bank (HCOB). Er hat jeweils sieben Jahre bei der Lufthansa und bei Draeger Erfahrung im operativen und strategischen Geschäft gesammelt, ehe er zur HCOB wechselte.

Tobias Scholtis hat sich dankenswerter Weise die Zeit genommen, um mit uns über seine Erfahrungen bei der Veränderung von Unternehmensprozessen, dem Outsourcing von Kerntätigkeiten sowie den damit verbundenen Führungsaufgaben zu sprechen. Ein spannendes Thema besonders für Produktionsunternehmen, aber auch für Banken und andere Dienstleister.

Strengere Auflagen und noch immer hohe Zinsen sorgen dafür, dass Banken bei der Kreditvergabe noch gründlicher auf nachhaltige Geschäftsmodelle und effiziente Prozesse im Unternehmen achten. Wo sehen Sie das größte Potential für Verbesserungen bei Prozessen?

Tobias Scholtis: Aufgrund der weiter steigenden Komplexität von Prozessen fällt es der Geschäftsführung oft schwer, die Total Cost of Ownership zu ermitteln. Das betrifft die interne Herstellung von Produkten, den Einkauf von externen Dienstleistungen oder – was im Bankenbereich häufig der Fall ist – die Auslagerung von Kernprozessen und Tätigkeiten. Typische Beispiele dafür sind IT-Dienstleistungen wie Cloud- oder bei einer Bank Payment Services. Die einmaligen Effekte eines Outsourcing können relativ leicht berechnet werden, aber die langfristigen Kosten solcher Veränderungen sind nur schwer zu ermitteln. Im Grunde ist das eine Frage der Nachhaltigkeit von Entscheidungen. Schließlich können der Know-how-Verlust im Unternehmen sowie die dadurch entstehende Abhängigkeit von Third Parties neue Risiken schaffen, die besonders in Krisenfällen und Phasen hoher Veränderungsdynamik zu sogar höheren Kosten führen. Ganz wichtig ist: Nicht nur im Bankensektor bleibt die wirtschaftliche und soziale Verantwortung auch bei Auslagerungen am Ende immer beim Unternehmen selbst und für die Steuerung müssen ausreichend interne Ressourcen einkalkuliert werden. Nachvollziehbar ist jedoch, weshalb Unternehmen häufig auf schnelle Entscheidungen im Bereich des Outsourcing drängen. Der Kostendruck durch das globale Markt- und Zinsumfeld nimmt zu und zusätzliche finanzielle Mittel müssen für die Digitalisierung und Steigerung der Effizienz freigesetzt werden, um Richtung Kunde wettbewerbsfähig zu bleiben. Hier die Balance zu halten ist zwar spannend, gleichzeitig aber sehr schwierig und ein Grund dafür, warum Unternehmen strategische Entscheidungen immer öfter revidieren müssen.

Der Aufbau neuer Prozesse, etwa weil Aufgaben ausgelagert werden, bedeutet Veränderung, für die Mitarbeitenden erst gewonnen werden müssen. Wie geht man dabei am besten vor?

Tobias Scholtis: Für die Akzeptanz von Veränderung kommt es darauf an, den Added Value für das Unternehmen, aber auch für die Mitarbeitenden deutlich zu machen. Neue Prozesse sind schließlich kein Selbstzweck, sondern sollten immer einem Business Case folgen. Zudem muss eine Win-Win-Situation geschaffen werden, denn ohne das Verständnis über den Mehrwert übergehen die Mitarbeitenden neue Prozesse und fallen in alte Routinen zurück. Daher muss das Ziel der Veränderung klar und verständlich kommuniziert werden. Mehr Effizienz, geringere Kosten, die Senkung von Risiken durch mehr Transparenz sind alles Ziele, die Mitarbeitende verstehen. Ein Unternehmen muss sehr genau beschreiben, warum etwas neu gemacht wird und im zweiten Schritt, wie es angegangen wird. Ein häufiger Fehler besteht darin, dass man gleich mit dem zweiten Schritt beginnt, nur auf die Durchführung achtet und die Mitarbeitenden nicht ausreichend in die Veränderung mit einbezieht.

Wie könnte das beispielsweise bei der Einführung eines Vendor Management Systems aussehen?

Tobias Scholtis: Beim Vendor Management kommt es wie bei der Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern vor allem darauf an, klare und effiziente Schnittstellen aufzubauen. In vielen Branchen wie der Luftfahrt, Sicherheits- und Medizintechnik oder im Finanzsektor werden die regulatorischen Korsette immer weiter angezogen. Hinzu kommen zahlreiche neue und allgemein gültige Anforderungen durch regionale und globale ESG-Ziele wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Neben kurzen Beschaffungszeiten für Material und Dienstleistungen benötigen Unternehmen sowohl auf der Lieferanten- wie auf der Kundenseite immer mehr Datenpunkte in immer kürzerer Zeit, aus denen durch effiziente Analyse die richtigen Informationen abgeleitet werden müssen. Hierbei sind die Anforderungen in den Branchen vielseitig. In der Automobilindustrie werden die Lieferanten seit vielen Jahren direkt an die Fertigung angedockt oder wie bei Tesla Stücklisten massiv vereinfacht, um Komplexität zu reduzieren. Im Bankenbereich geht es wie in der Automobilbranche fast ausschließlich um den Austausch von Daten und somit digitale Schnittstellen: Welche Daten werden über welche Schnittstellen und Systeme genutzt, welche Software muss lizensiert oder weiterentwickelt werden? Hier werden Kollaborationsportale mit Dienstleistern immer wichtiger, um gemeinsame Daten- und Informationssysteme aufzubauen und Lieferanten eng an das Unternehmen zu binden sowie ein ausreichend starkes Umfeld für Informations- und IT Sicherheit zu schaffen. Der kürzliche Zwischenfall in Bezug auf die Zusammenarbeit von Crowdstrike und Microsoft machte das auch für die breitere Öffentlichkeit nochmal sehr transparent. In Zukunft kommt es für Unternehmen verstärkt darauf an, digitale Brücken auszubauen und gleichzeitig sicherer zu machen.

Welche Chancen birgt es, wenn ein Teil der Aufgaben ausgelagert wird? Kann das ein Mittel gegen den Fachkräftemangel sein?

Tobias Scholtis: Outsourcing sollte immer auf einer langfristig angelegten Auslagerungsstrategie beruhen und zur Gesamtstrategie des Unternehmens passen. Die konkrete Zielpositionierung ergibt sich aus dem magischen Dreieck von Zeit, Qualität und Kosten. In der Regel kann man durch das Outsourcing von Kernaktivitäten oder Prozessen nur eines dieser Ziele optimieren. Wenn es beispielsweise schwer möglich ist, die Qualität einer bestimmten Komponente sicherzustellen, dann sollte sich ein Unternehmen diese zuliefern lassen und seine Innovationskraft an anderer Stelle nutzen. Wenn es darum geht, Kosten zu sparen, kann der mit Outsourcing verbundene Know-how-Verlust und die Schwierigkeit in der Steuerung von Dienstleistern und Schnittstellen dem Unternehmen in seiner Produktqualität schaden. Besonders schwierig wird es, wenn ein Unternehmen bereits nach wenigen Jahren feststellt, dass der Outsourcing Business Case nicht aufgeht und erneut Mittel in die Hand nehmen muss, um Prozesse, Strukturen und Mitarbeitende wieder neu aufzubauen. Hier kommt es darauf an, auf Basis einer maximal transparenten Analyse und unter Einbeziehung der Geschäftsführung und des Vorstands daraus zu lernen und die Strategie nachhaltig anzupassen.

Welche Risiken sind mit dem Outsourcing von Prozessen verbunden?

Tobias Scholtis: Ein Risiko besteht wie bereits erläutert darin, dass das Ziel und der Business Case nichts ausreichend klar formuliert, berechnet und kommuniziert wurden. Ein weiteres Risiko besteht darin, durch fehlendes Risikomanagement mögliche Gefahren nicht eng zu monitoren oder Trends nicht zu erkennen. Ein Black-Swan-Moment wie die Corona-Pandemie lässt sich nicht vorhersagen, aber Wirtschaftszyklen, Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt oder die Entwicklung der Qualität von extern zu erbringenden Dienstleistungen lassen sich durch verschiedene Indikatoren sowie sinnvolle KPIs und Service Level Agreements frühzeitig erkennen und vorhersagen. Die eigene Strategie kann darauf adjustiert werden, denn kleinere und rechtzeitige Korrekturen sind für ein Unternehmen wirtschaftlich viel besser zu verdauen als abrupt notwendige Richtungswechsel. Bei der Bewertung von Risiken und der daraus folgenden Risikomitigation als wesentliches Instrument des Risikomanagements sehe ich in deutschen Unternehmen noch massives Verbesserungspotenzial.

Wie muss die Unternehmenskultur gestaltet werden, damit die Mischung aus internen Mitarbeitenden und externen Dienstleistern gut und effizient zusammenarbeitet?

Tobias Scholtis: Zuerst einmal sollte ein Unternehmen bewerten, welcher Anteil an externer Wertschöpfung die kritische Masse überschreitet und wo Konzentrationsrisiken bestehen, die zu weiteren Abhängigkeiten und Risiken in der eigenen Wertschöpfungskette führen können. Jede externe Dienstleistung muss gesteuert werden, was ebenfalls zeitlichen und finanziellen Aufwand verursacht und ein gesundes Verhältnis von externen gegenüber internen Mitarbeitenden erfordert. Nach innen muss klar kommuniziert werden, welche Innovation und Wertschöpfung selbst erbracht werden soll und welcher Anteil und aus welchen Gründen nach extern vergeben wird. Das fördert die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und nimmt den Mitarbeitenden mögliche Ängste vor Disruption durch Digitalisierung, Jobverlagerung oder im Extremfall einen Arbeitsplatzverlust. Statt Konkurrenzdenken gegenüber externen Dienstleistern sollte das erfolgreiche Miteinander betont werden. Durch künstliche Intelligenz werden sich Aufgabenfelder künftig noch dynamischer verändern. Dennoch werden aus meiner Sicht dafür nicht weniger, sondern Mitarbeitende mit anderen Kompetenzen benötigt. Der Schulungsaufwand muss frühzeitig erkannt und eigene Mitarbeitende entwickelt werden.

Wie ändern sich dadurch die Anforderungen an die Führungskräfte und was bedeutet das für die im Unternehmen verbleibenden Mitarbeitenden?

Tobias Scholtis: Das Anforderungsprofil an Führungskräfte steigt und enthält einen immer komplexeren Anteil an Themen und Aufgaben. Eine davon ist ein stärkerer Fokus auf situatives Führen, das heißt vermehrt auf die individuellen Bedarfe der Mitarbeitenden einzugehen, insbesondere in Zeiten einer hybriden und digitalisierten Arbeitswelt. Wenn sich Aufgaben verändern, müssen die Mitarbeitenden rechtzeitig an die neuen Anforderungen herangeführt und dafür entsprechend vorbereitet werden. In vielen Unternehmen passiert das nicht proaktiv und führt dann zu einem erhöhten externen Dienstleistungsanteil, welcher an dieser Stelle vermeidbar wäre und sich nicht aus strategischen Überlegungen ableitet. Solche Bedarfe im Rahmen der Mitarbeitendenentwicklung zu ermitteln und das eigene Führungsverhalten durch Reflexion und Austausch mit anderen Unternehmen und Experten weiter zu verbessern, sind Kerneigenschaften, die Führungskräfte heute mitbringen und somit Verantwortung übernehmen müssen. Kernfunktionen wie HR oder die Geschäftsführung eines Unternehmens können das nicht allein leisten.

Wie können Unternehmen sicherstellen, dass nach den Veränderungen und der Auslagerung von Prozessen noch die richtigen Führungskräfte am richtigen Ort eingesetzt werden?

Tobias Scholtis: Vorstand und Geschäftsführung sollten Klarheit über die Skills haben, welche auf den verschiedenen Führungspositionen notwendig sind, um das Unternehmen durch eine zunehmend komplexe Welt steuern zu können. Das heißt, sie brauchen einen klaren Überblick über die künftigen Kompetenzen in der Führung, um im zweiten Schritt abgleichen zu können, ob diese ausreichend vorhanden sind. Daraus ergibt sich dann entweder die Notwendigkeit einer Entwicklung bereits vorhandener Mitarbeitender oder eine Rekrutierung am Markt. Erfreulich ist in den letzten Jahren, dass ein typischer Fehler, gute Fachkräfte automatisch auf Führungspositionen zu befördern, weniger häufig passiert und systematisch beispielsweise durch interne oder extern unterstützte Assessment Center ersetzt wurde. Ob jemand eine gute Führungskraft ist oder sein kann, hängt jedoch nicht nur von den Kompetenzen ab, sondern auch vom organisatorischen Aufbau und Umfeld im Unternehmen. Der Lebenszyklus eines Unternehmens und somit die Aufgaben in der Führung sind sehr dynamisch. Ich kann sowohl Führungskräften als auch Unternehmen nur empfehlen, sich die Zeit für ausreichend Reflexion immer wieder zu nehmen, um somit die Anreize und Motivation für Führung immer wieder zu analysieren und zielgerichtet zu stärken.


Über Mercuri Urval:

MU ist ein wissenschaftlich basiertes globales Unternehmen für die Akquisition und Beratung von Führungskräften. Unsere Experten bieten einzigartige und genau zugeschnittene, qualitätsgesicherte und ethische Executive Search-, Professional Recruitment-, Leadership Assessment- und Coaching-Dienstleistungen in Partnerschaft mit Kunden aus dem privaten und öffentlichen Sektor weltweit.

Wir sorgen dafür, dass Organisationen durch eine vielfältige und nachhaltig erfolgreiche Führung besser abschneiden als andere.

Die Lösungen von Mercuri Urval basieren auf einer wissenschaftlich fundierten Methodik und einer qualitätsgesicherten Ausführung. Unsere Lösung ist einzigartig auf Sie zugeschnitten und sagt genau voraus, wer die nächste Führungskraft in Ihrem Unternehmen sein wird. Wir stützen uns auf mehr als 55 Jahre Erfahrung und Wissen über die Führungsqualitäten, die für den Erfolg im spezifischen Kontext eines Unternehmens erforderlich sind. Wir wissen, wie sich bestimmtes Verhalten auf Ihre Ergebnisse auswirkt, und helfen Ihnen, die Führungskräfte zu finden, die Sie brauchen, um Ergebnisse zu erzielen.

Um dies zu gewährleisten und uns kontinuierlich zu verbessern, führen wir Validierungsstudien zu unseren Leistungen durch und betreiben umfangreiche Qualitätssicherungsmaßnahmen – einschließlich einer externen Verifizierung nach ISO 10667-Standard. Unser MU-Forschungsinstitut führt diese Arbeiten durch und entwickelt unsere Dienstleistungen, Methoden und Expertenzertifizierungsverfahren kontinuierlich weiter, um die Anwendung der MU Leader Selection Science® zu gewährleisten. Unsere Validierungsarbeit zeigt eine Erfolgsquote von mehr als 90 Prozent. Herkömmliche Executive-Search-Methoden erreichen dies nur in 50 bis 60 Prozent der Fälle. Ein Ergebnis, das auch mit einem Münzwurf erzielt werden könnte.